Phase 1: Herbert Baumann und Sigrid Baumann-Senn: MAGIE DER ZEICHEN / Phase 2: DEZERNAT5: zum RAUM wird die ZEIT
Herbert Baumann / Sigrid Baumann-Senn: Magie der Zeichen - Skulpturen und Zeichnungen / Bilder und Objekte
5. 5. - 16. 6. 2013
„Magie der Zeichen“ ist die erste gemeinsame Ausstellung des Künstlerpaars Sigrid Baumann-Senn und des 1990 verstorbenen Bildhauers Herbert Baumann. Vordergründig betrachtet, wirken die Kunstwerke der beiden sehr unterschiedlich, insbesondere das Material könnte gegensätzlicher kaum sein. Hier Skulpturen aus Stein, Marmor, dort Objekte aus Teig, Asche, Erde, Salz, Pflanzen, Papier. Hier Variationen eines Themas, dort Themen-/Gestaltungsvielfalt, hier ein dominantes Zeichen: der Kopf, dort eine Fülle von Zeichen. Doch gibt es Verbindungslinien, Gemeinsamkeiten: z. B. die Lichtdurchlässigkeit, die Fokussierung auf die Mitte, die Interdependenzen von Idee und Spurensuche, die Suche nach dem Urmedium, dem Urbild.
Für Herbert Baumann war „die Auseinandersetzung mit Kunst, neben dem Vermögen der handwerklichen Realisierung, geistiger Prozess". Sein Thema war der Mensch – als Idee/Ausgangspunkt für die „Suche nach dem Sinn- oder Urbild, was Figur sein könnte“. Auf der Suche nach dem Urbild gab es für ihn nur ein Material, den Stein. Denn: „Auch Steine sind geboren. Sie verkörpern durch ihre Anwesenheit Urbildliches.“
Mit Körperfragmenten, Torsen, Kombinationen aus Kopf und Hand, Kopf und Fuß und vor allem Variationen der Formung des Kopfes näherte er sich diesem Urbild an. In diesem Prozess wird der runde, kugelförmige Kopf immer abstrakter, immer mehr zu einem scheibenförmigen Antlitz auf einem scheibenförmigen Fundament. Der Marmor wird immer dünner, fast durchsichtig, transzendent/überirdisch.
Herbert Baumann lehrte an der Akademie der Künste Stuttgart; er wurde mit bedeutenden Auszeichnungen geehrt, u. a. mit dem Wilhelm-Lehmbruck-Förderpreis und – noch ein Jahr vor seinem Tod – mit einem Ehrenstipendiat an der Villa Massimo in Rom. 1990 starb er in Stuttgart.
Sigrid Baumann-Senn sagt von sich: „Ich bin ein Spurensucher und ein Zeichenmacher. Manchmal verfolge ich eine Spur und erkenne das Zeichen darin, das ich gerade suche. So bin ich den Zeichen von zwei Seiten auf der Spur...Fremde Spuren stoßen auf eigene und bringen einen Dialog in Gang. Ich gehe der Spur nach, entziffere ihre geheime Botschaft, vertiefe, verhülle, verfolge, durchkreuze oder überlagere sie. Dieses Zwiegespräch zwischen mir und dem Medium führt zu einer Umwandlung der Substanzen und zu einer neuen Sicht derselben.“
Ihr Urmedium ist der Teig, den sie in unerschöpflicher Phantasie bearbeitet, zu dünnsten Häuten walzt, in Form bringt und brennt. Das neunteilige Wandobjekt „Mondphasenbrote“ ist ein eindrucksvolles Beispiel.
Nicht nur mit Teig, sondern auch mit allen anderen, vornehmlich organischen Substanzen experimentiert die „Alchimistin“ immer auf der Suche nach den ihnen innewohnenden Spuren und geheimen Botschaften. All ihre Objekte erzählen Geschichten: z. B. „Erdzeichen“ aus Erde und Pflanzen, „Elementarzeichen“ aus geschöpften Papieren, „Wegzeichen“ aus Teighautcollagen, „Fußspuren“ im Vulkansand, in Asche eingebackene „Strickzeichen“, der „Sternenwanderer“ in einem 30teiligen kosmischen Bilderbogen.
Phase 2: DEZERNAT5 - Tino Bittner, Udo Dettmann, Thomas Sander: "zum RAUM wird die ZEIT" (2013) und "Stop & Go - Parcours der Augenblicke (2016)
Die Titel der zwei großen Ausstellungen ZUM RAUM WIRD DIE ZEIT und STOP & GO ergänzen sich und geben komprimiert die Intentionen und Philosophie der drei Künstler wieder. Deshalb werden sie hier gemeinsam behandelt.
Sie machen Wahrnehmungs- und Bewegungs-Prozesse räumlich sichtbar, indem sie sie in einzelne Phasen, kleinste Einheiten und „Standbilder“ zerlegen, die dann narrativ mit Humor, Hintersinn und Tiefgang zu neuen Wahrnehmungskonstellationen – analog wie bei Tino Bittner oder vorwiegend digital wie bei Udo Dettmann und Thomas Sander –zusammengesetzt werden. Sie irritieren, schaffen paradoxe Situationen, spielen mit Wahrnehmungsverkehrungen/-umkehrungen und Sinnestäuschungen.
Bewegung und Wahrnehmung stehen in ihren Werken in einem feinmaschigen, nicht unkomplizierten und zum Teil rätselhaften Verhältnis zueinander. Bewegung ist für sie ein Phänomen, das nicht nur im realen Zeit-Raum-Kosmos stattfindet, sondern emotional und mental auch als „Kopf-Kino“ oder in der virtuellen Welt der neuen Medien.
Alle Drei spielen mit der Dehnung der Zeit durch Aufspaltungs-, Streckungs- und Verzögerungseffekte. Sie setzen der Hektik unserer Zeit die zeitlupenhafte Verlangsamung und den Impuls zum Verweilen und zum genaueren Hinschauen entgegen. Prototypisch dafür steht eine Videoarbeit von Udo Dettmann, in der etwa ein rothaariges weibliches Wesen raubtierhaft hinter einem (Balkon)Gitter in Zeitlupentempo tigert, dann und wann den Kopf hebt und den Betrachter anschaut, die Zähne bleckt und dann zum Schluss (endlich) brüllt – man fühlt sich an den Löwen von Metro-Goldwyn-Myer erinnert.
Eine weitere Gemeinsamkeit der drei – mit sehr eigenständigen ästhetischen Ausdrucksmitteln arbeitenden – Künstler ist, dass sie unbewusst ablaufende Routinehandlungen/-bewegungen und eingeschliffene Automatismen im Alltagsverhalten als Inhalt ihrer Kunst wählen: beispielsweise der Augenblick oder Wimpernschlag, das Öffnen des Mundes oder Heben und Senken eines Arms mit ausgestrecktem Zeigefinger. Dadurch lenken sie den Fokus der Aufmerksamkeit auf Vorgänge, die normalerweise unterhalb der Schwelle der bewussten Wahrnehmung liegen.
Der Reiz ihrer Kunstwerke liegt in dem Kunstgriff, Nebensächliches zur Hauptsache zu stilisieren und die Flüchtigkeit eines banalen Augenblicks – wie die Sekunde des Einschlagens eines Nagels in Holz – in viele einzelne Sequenzen zu zerlegen und daraus ein nachvollziehbares Slow-motion-Erlebnis zu machen.
Für die Herstellung ihrer Objekte verwenden die drei Künstler nicht selten profane Alltags-Materialien und Allerwelt-Situationen. So arrangiert Tino Bittner ein getuscht anmutendes Porträt aus weißen und schwarzen Plastik-Trinkhalmen oder er montiert Abstandshalterkreuze, die normalerweise zum Fliesenlegen verwendet werden, derart auf ein Gitter in kleinquadratischen Mustern, dass zwei Gesichter im Positiv-Negativ-Duktus entstehen – sozusagen innovative Malerei ohne Farben. Innovativ auch seine Version einer 3D-Technik, mit deren Hilfe er die Bewegung eines ausgestreckten Armes oder der zugreifenden Hand eindrucksvoll zur tiefräumigen Darstellung bringt, indem er einzelne Sequenzen der Bewegung jeweils als Umriss-Skizze auf eine Glasplatte oder eine transparente Folie zeichnet und diese so hintereinander aufreiht, dass die Dynamik einer schwungvollen Bewegung simuliert und vom Betrachter auch als solche wahrgenommen wird. Bemerkenswert auch seine Wandinstallation mit Porträtzeichnungen auf gerahmten Glasscheiben, die wie Buchseiten zum Durchblättern auf die Wand montiert sind und so ein Gesicht von allen Seiten – vorn und hinten, links und rechts – im Profil sichtbar machen. Seine mit herkömmlichen Mitteln produzierten analogen Arbeiten erzeugen mit Hilfe der Schichtung/Überlappung mehrerer Ebenen überraschende Effekte der Bewegung.
Udo Dettmann malt beispielsweise mit- und ineinander schwingende Hände in unterschiedlichen Farben, die – in ein Video montiert - wie verzögert abgespielte Aufnahmen der Flügelschwingungen beim Vogelflug anmuten und in ihrem rhythmischen Auf und Ab latente Lust zum Fliegen freisetzen. Eine humorvoll absurde Situation erzeugt Dettmann mit einem Föngebläse, das einen aufblasbaren „Badefisch“ aus knallbuntem Plastikgewebe zum scheinbar befreiten Schweben bringt und so die doppelte, parodoxe Illusion vom Fliegen eines Fisches oder vom Schwimmen in der Luft in Szene setzt. Höchst raffiniert und größte Aufmerksamkeit, genaues Hinsehen verlangend, ist ein Video, in dem er in minimalen prozessualen Übergängen das Heranwachsen/Altern des Menschen darstellt - vom Kleinkind zum Greis.
Thomas Sander führt im Zeitlupentempo vor, welche Bewegungsabläufe eine Hand und eine kleine Kugel durchlaufen, wenn der schnippende Zeigefinger die Kugel in Bewegung setzt. Die Zerlegung dieses in Sekundenschnelle ablaufenden Vorgangs in kleinste Bewegungseinheiten demonstriert er in einer Vielzahl offener Schachteln, die sich entlang der Wand über zehn Meter erstrecken – mit minimalen Veränderungen des Schnippfingers. Ähnlich auch sein Objekt, das das wenige Sekunden dauernde Einschlagen eines Nagels in Holz in viele einzelne Sequenzen zerlegt, um daraus ein nachvollziehbares Slow-motion-Erlebnis zu machen. Viel Humor beweist er in einem Video, in dem er die berühmten Hände Gottes und Adams von Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle in Bewegung setzt und die Illusion erwckt, sie würden sich einander nähern und berühren.
Tino Bittner, Udo Dettmann und Thomas Sander fordern die Betrachter zu einem Dialog mit ihren Kunstwerken auf, die nicht einfach nur konsumiert, sondern durch intensive Interaktion erfahren und verstanden werden wollen. Die ihren Werken zugrundeliegenden Ideen entstammen oft der Meta-Ebene der „Wahrnehmung der Wahrnehmung“, das macht sie oft erst auf den „zweiten Blick“ – in STOP & GO-Manier - erschließbar. Die Mittel der Irritation, der Ambivalenz und der Paradoxie verleihen ihren Werken (Tiefen-)Grund und (Mehr-)Deutigkeit.
BlickPunkte - Objekt- und Videoinstallationen von DEZERNAT5 im Rahmen der PAMPINALE II 2018
Tino Bittner, Udo Dettmann und Thomas Sander - die Künstler von DEZERNAT5 - präsentieren in der Black Box ihre neuesten Objekt- und Videoinstallationen – wie gewohnt mit tiefgründig hintersinnigem Humor. Tino Bittner irritiert mit dem Objekt „Salut“, Udo Dettmanns Videos „Lautlos“, „Pas de Deux“ und „Geschlossene Gesellschaft“ eröffnen sich durch einen Spion, und Thomas Sander zeigt auf 15 Monitoren „15 Ansichten“. Alle Installationen fordern neues Wahrnehmen heraus.