Kunst und Kultur als Dimensionen der Regionalentwicklung
Keynote für die KreisKulturKonferenz im Kulturhaus Mestlin am 6. September 2014 Landkreis Ludwigslust-Parchim
I. Diskurs über eine Kulturpolitik für die Region
Es gibt meiner Meinung nach drei gewichtige Gründe für das Erfordernis eines aktuellen Diskurses zwischen den Beteiligten und Betroffenen, um ihre Vorstellungen über die Entwicklung von Kunst und Kultur in unserem (neugegründeten) Landkreis miteinander auszutauschen und gemeinsam über eine Kulturpolitik für unsere Region nachzudenken. Die Gründe lauten: Einmischung, Identitätsbildung und Profilierung.
1.Die Kulturpolitik für das Land Mecklenburg-Vorpommern ist in Bewegung gekommen, es wird daran gearbeitet, den Reformstau auf diesem Politikfeld abzubauen. (Theater- und Orchesterstruktur, „Drei-Säulen-Modell“, Reform der Förderrichtlinien, Kulturetat). Wenn die neuen Groß-Landkreise nicht wollen, dass ihnen eine Kulturpolitik „von oben“ übergestülpt wird, dann müssen sie sich miteigenen Vorstellungen und Konzepten in die Debatten einbringen, um ihre Vorstellungen und Interessen einzubringen.
2.Die Verantwortlichen für die verwaltungstechnische Umsetzung der verfügten Zusammenlegung der beiden Landkreise Parchim und Ludwigslust haben viel Zeit und Energie, Ideen und Mühen einsetzen müssen, um diese ungeliebte Umstrukturierung effektiv zu bewältigen - was in mancher Hinsicht ja auch gelungen ist. Was der Region Süd-West-Mecklenburg - die beklagenswerter Weise nach zwei Provinzstädtchen (Parchim/Ludwigslust) benannt worden ist (ein an Provinzialität nicht zu übertreffender politischer Geniestreich) - jedoch noch fehlt ist eine unverwechselbare Identität, die es den Bewohnern erlaubt, sich mit dem neuen Organisationsgebilde/-ungetüm anfreunden zu können. Um den Prozess für eine tragfähige Identifizierung der Bürgerinnen und Bürger mit ihrem Landkreis voranzubringen, kommt der Kunst und Kultur eine Schlüsselrolle zu. Ohne eine durchdachte Kulturpolitik wird eine Identitätsbildung in der Region - die ja das Lebensumfeld für die Bewohner bildet - nicht oder nur sehr langsam vorankommen.
3. Der Landkreis Süd-West-Mecklenburg (Parchim/Ludwigslust) ist nach meinen Informationen flächenmäßig der zweitgrößte in Deutschland und einer der größeren in Europa. Mit seiner geographischen Mittellage in der noch relativ konturlosen „Pampa“ zwischen den beiden Metropolen Hamburg und Berlin bedarf Süd-West-Mecklenburg eines eigenen Profils durch Merkmale der Alleinstellung und Unverwechselbarkeit, der Attraktivität und Qualität, um nicht - wie bisher - als graumausige, relativ verschlafene Provinz in der landes- und europaweiten Wahrnehmung „unter die Räder“ zu geraten. Die Region Süd- West-Mecklenburg besitzt nach meiner Auffassung durchaus das Potenzial, um durch eine effektive Kulturpolitik einschließlich einer gezielten Image- Kampagne die bisherige Perzeption als „No-Name-Area“ nach und nach zu überwinden und sich in Richtung einer positiveren Wahrnehmung (in M-V, Deutschland und Europa) zu entwickeln. Durch die Erzeugung grenzüberschreitender Aufmerksamkeitmittels kreativer Kunst und lebendiger Kultur sollte sich unser Landstrich in der Konkurrenz vielfältiger, miteinander um Gunst und Aufmerksamkeit streitender Regionen in Europa platzieren und sich einen „Markennamen“ als Kultur- und Naturregion erarbeiten. Eine kluge Kulturpolitik kann einen entscheidenden Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität in der Region, ihrer Bindungskraft nach innen und ihrer Strahlkraft nach außen leisten, wenn sie die vorhandenen Ressourcen und Potenziale in Kunst und Kultur durch Ideen und Impulse sinnstiftend und phantasievoll, tatkräftig und bisweilen auch anstößig zur Entwicklung und Entfaltung bringt. Im Rahmen einer ambitionierten Kulturpolitik müsste der „Kulturförderung“ soviel Beachtung und Gewicht verliehen werden wie sie seit geraumer Zeit der
„Wirtschaftsförderung“ (auch mit deren Ausstattung an Personal und Finanzen) gegeben wird.
Fazit:
Eine flächenmäßig so große Region wie Süd-West-Mecklenburg (LK Ludwigslust-Parchim) in der attraktiven Mittellage zwischen den Metropolen Hamburg und Berlin gelegen, braucht eine eigene Kulturpolitik, um seine Absichten und Interessen „nach oben“ (gegenüber der Landeskulturpolitik), „nach innen“ (im Sinne einer Identitätsbildung und der Identifizierung der Bewohner mit ihrer Region) sowie „nach außen“ (zum Zweck der Wahrnehmung in Deutschland und Europa) einzubringen.
II. Kultur und Politik (Kulturpolitik) - ein vertraktes Verhältnis
Kultur und Politik - das sind (nicht nur dem Klischee nach) zwei höchst unterschiedliche Daseinsformen und Handlungsarenen, die beim Aufeinandertreffen nicht selten Gefühle der Fremdheit, Ängste von Dominanz, Sorgen um Verlust an Identität haben. Das liegt daran, dass beide „Systeme“ höchst unterschiedliche - ja gegensätzliche Funktionen in der Gesellschaft und für die Menschen erfüllen. Darum ticken diese Lebenswelten nach sehr unterschiedlichen Kriterien, prägen die Charaktere ihrer Akteure (Politiker-/Künstler/-innen) durch jeweils spezifische Gefühlslagen, Einstellungsweisen und Verhaltensmuster.
Nicht selten empfinden die Akteure aus diesen Bereichen ähnliche Emotionen wie die Partner in einer nervigen „Beziehungskiste“, die seit langem zusammen sind, sich aber auseinander gelebt haben, ihrer eigenen Wege gehen, sich nichts mehr oder nicht mehr viel zu sagen haben und sich nicht mehr in den anderen hineinversetzen wollen oder können. Die eine Seite (Politik/Verwaltung)setzt auf Verregelung der Wirklichkeit durch Weisungen und Verordnungen, strebt nach Sicherheit und Ordnung, denkt in Verwaltungsakten, Vollzugsplänen und Hierarchien. Die andere Seite (Kunst/Kultur) dagegen überschreitet (Wahrnehmungs-) Grenzen und (Interpretations-) Spielräume, lotet die Chancen von Möglichkeiten aus, schafft neue Sichtweisen, Form- und Farbkombinationen und lebt in einem eigenen Sinnkosmos.
Kultur und Politik sind in ihrer jeweiligen Rolle wie beiden sprichwörtlichen „Königskinder“ gefangen, die auf jeweils einer anderen Insel ihr eigenes Leben leben, sich zwar sehen, aber nicht begegnen können oder wollen, weil ein breiter wassergefüllter Graben sie voneinander trennt. Kunst und Kultur bedürfen - wenn sie nicht veröden wollen - der engagierten und couragierten, kritischen und konstruktiven Begleitung und Einmischung, Beachtung und Auseinandersetzung durch einen lebendigen Diskurs in der Öffentlichkeit. Es bedarf eines demokratischen Streitens über die Visionen, Prinzipien und Ziele, die Prozeduren und Strukturen, die Inhalte und Akteure einer perspektivisch angelegten Kulturpolitik, die allen verfügbaren Kompetenzen und Potenzialen einen möglichst großen Spielraum zur Entfaltung bietet. Die auf Landesebene eingeleitete Kulturpolitik ist ein vielversprechender Einstieg, sie bedarf aber der konsequenten Umsetzung, der qualifizierten Weiterentwicklung und der dialogischen Begleitung in den Regionen und Landkreisen.
Damit ein solcher Diskurs nicht in ein geschwätziges, folgenloses Palaver mit medialer Vervielfachung abgleitet, ist es sinnvoll,Prüfsteine und Relevanzkriterien zu benennen, anhand derer die zahlreichen Beiträge und Vorschläge perzipiert, strukturiert und evaluiert werden können.
Die Kulturpolitik hat der Kunst und Kultur endlich jenen gebührenden, bedeutsamen Stellenwert für die Entwicklung und Gestaltung unserer Gesellschaft und damit für die Zukunft aller BürgerInnen zu verschaffen, der ihnen als Basis und Zentrum für Sinnstiftung und Wertevermittlung, Selbstverwirklichung und Integration zukommt. Der ansprüchliche Begriff vom „Kulturland M-V“ oder „Kulturregion“ ist durch die Schaffung adäquater Bedingungen für Kunst und Kultur in diesem Bundesland nicht nur als Werbeslogan zu instrumentalisieren, sondern angemessen in die Wirklichkeit umzusetzen und tatkräftig und ernsthaft, d.h. nicht nur verbal zu realisieren.
Fazit:
Es gilt, dieses oft verkrampfte Verhältnis zwischen Politik und Kunst/Kultur zu entspannen, die Widersprüche in konstruktiver Weise als Quellen von Energien und Synergien zu nutzen und Brücken der Begegnungen und des wechselseitigen Verständnisses zu bauen. Nur wenn es gelingt, die Eigenarten der beiden auf Zusammenarbeit angewiesenen Bereiche miteinander in eine konstruktivere Beziehung zu bringen und Interesse füreinander zu wecken, wird es möglich sein, eine Kulturpolitik zum Wohle der Region und ihrer Menschen zu entwickeln.
III. Kulturpolitik - ihre Funktionen, Inhalte und Prozesse
Eine substanzielle Kulturpolitik mit Ambitionen und Weitblick, die ernsthaft kulturpolitische Ziele verfolgt und Kunst und Kultur nicht nur als Dekor (miss-)versteht, erfordert die Bereitschaft zu kontroversen Diskursen und reflektiertem Nachdenken sowie die Fähigkeit, komplexe und differenzierte Zusammenhänge zu durchdringen. Kunst und Kultur dienen vielen Funktionen - als Impulsgeber, als Identitätsstifter, als Imagefaktor, als Störgröße, als Bildungsinhalt, als Integrationsvehikel und nicht zuletzt als Arbeitsplatzbeschaffer und Wirtschaftsfaktor. So vielfältig wie die Kunst und Kultur selbst, so vielfältig sind die Fragen und Antworten darüber, was denn Kunst und Kultur eigentlich ist oder wie sie zu verstehen ist. Dies soll hier nicht vertiefend diskutiert werden, wir sind nicht im kulturwissenschaftlichen Oberseminar, sondern es geht vielmehr um Auseinandersetzungen über die Frage, was für einen Beitrag die Kulturpolitik für die Entwicklung und Gestaltung unserer Region leisten könnte oder sollte - wenn es eine solche Politik gäbe.
Eine solche Kulturpolitik ... 1. ... sollte anhand reflektierter Visionen und handlungsleitender Prinzipien, vereinbarter Ziele und umsetzbarer Projekte erfolgen, die allen Beteiligten und Interessierten die Möglichkeit der demokratischen Beteiligung und kompetenten Einbringung eröffnen; - hierbei bedarf es der Konkretisierung und Operationalisierung.
2. ... sollte sich nicht in der Regulierung und Strukturierung verwaltungstechnischer Vorgaben und Abläufe erschöpfen, sondern aktiv und partizipativ Rahmenbedingungen für Verbesserungen der Substanz, Qualität und Relevanz von Kunst und Kultur schaffen.
3. ... sollte faktisch als integrierte Querschnittsaufgabe betrieben werden, d.h. alle Ressorts der Regierung und Verwaltung in die Entwicklung, Gestaltung und Finanzierung von Kunst und Kultur als der Grundlage für den Zusammenhalt und Fortbestand der Gesellschaft einbeziehen - und zwar nicht nur verbal, sondern in der Praxis und zwar substanziell durch die Bereitstellung zusätzlicher Mittel zur nachhaltigen, integral verankerten Unterstützung von Kunst und Kultur.
4. ... hat Balancen und Gerechtigkeiten zwischen den einzelnen Sparten/Genres von Kunst und Kultur, zwischen sog. „Leuchttürmen“ und Kunst/Kultur in peripheren Räumen („Pampa) sowie eine Ausgewogenheit der Unterstützung und Förderung zwischen darstellender und bildender Kunst, „verbeamteter“ und „Freier Kunst“, NachwuchskünstlerInnen und etablierten KünstlerInnen herzustellen.
5. ... sollte der Kultur der Erinnerung - vor allem im Hinblick auf die Verbrechen und Ermordungen in der Hitler-Diktatur sowie die Opfer der Kriege und anderer Gräueltaten gegen die Menschlichkeit - die ihr gebührende Aufmerksamkeit widmen, um Lehren aus der Geschichte für das Verhalten in der Gegenwart und für die Gestaltung der Zukunft zu ziehen und - soweit dies möglich ist - Erfahrungen an die nächsten Generationen weiterzugeben.
Kulturpolitik lässt sich nicht so nebenbei als angenehme Beschäftigung mit dem Wahren, Guten und Schönen im Ehrenamt betreiben, sondern sie verlangt Qualifikationen und Professionalität. Es sind Arbeitsplätze zu schaffen und zu erhalten, die personell und finanziell so auszustatten sind, dass sie den anspruchsvollen Anforderungen kulturpolitischer Arbeit gerecht werden.
IV. Strukturbildung in der Kulturpolitik: Senat, Beirat und Konferenzen
Eine nachhaltig angelegte Kulturpolitik hat Strukturen und Prozeduren zu etablieren bzw. zu protegieren, die eine systematische, kontinuierliche, transparente, kooperative und demokratische Beteiligung zwischen der Politik und den Verwaltungen auf der einen Seite und den Kulturakteuren (KünstlerInnen / KulturvermittlerInnen) sowie den Kulturrezipienten auf der anderen Seite im Rahmen belastbarer Formen sicherstellt. Nur durch das Vorhandensein solcher Strukturen können Kunst und Kultur ihre Funktionen für die Entwicklung und Gestaltung der Gesellschaft sowie für die Bildung und Entfaltung der Menschen wirkungsvoll und nachhaltig erfüllen.
Eine solche Herausbildung von Strukturen kann auf unterschiedliche Art und Weise geschehen, so z.B. durch die gemeinschaftlichen Formulierungen von Leitlinien für die Kulturpolitik, durch die Durchführung wiederkehrender Kulturkonferenzen (auf Landes-, Kreis- und Kommunalebene), durch die Bereitstellung von Informationsportalen/-plattformen (im Internet) sowie durch die Unterstützung zur Gründung eigenständiger Kulturräte als Ansprechpartner auf Augenhöhe (mit substanziellen Befugnissen und Verantwortungen) und durch die Bildung eines Kultursenats (wie z.B. in Sachsen), der die Entscheidungsträger in einer Region (z.B. Landrat, Bürgermeister/- innen, Leiter/-innen von Kunst- und Kultureinrichtungen, Kulturpolitiker/-innen aus den Parlamenten, Künstler und Künstlerinnen) am Runden Tisch zusammenbringt. Vordringlich ist in unserer Region die zeitnahe Gründung einesregionalen Kulturrates, durch den eine Plattform bzw. Schnittstelle gebildet werden sollte, die vielfältige Funktionen erfüllen könnten: die Verbesserung des Dialogs zwischen den Kulturschaffenden und den Kulturvermittelnden (Galerien, Museen etc.), die Etablierung eines Ansprechpartners für die Politik (Ausschüsse) und die Verwaltung, die Vermittlung des Austausches zwischen den Sparten von Kunst und Kultur, die Förderung des Bewusstseins für Kultur als Querschnittsaufgabe, die Herstellung kulturpolitischer Transparenz des Verwaltungshandelns (Förderpraxis), die Mit-Gestaltung einer jährlichen Kulturkonferenz, die Formulierung und Abstimmung kulturpolitischer Leitlinien des Landkreises, die Konsensfindung über kulturelle Ziele/Großprojekte und die Förderschwerpunkte, die Unterstützung des Ausbaus kultureller Bildung an den Schulen, die Verbesserung der Präsenz von Kunst und Kultur in den Medien und schließlich - und nicht zuletzt - die Erhöhung der Relevanz von Kunst und Kultur in der Wahrnehmung und Bewertung durch die Öffentlichkeit und in der Gesellschaft.
Fazit:
Die noch nicht einmal vollständige Auflistung von strukturbildenden Maßnahmen, die für die Professionalisierung, Qualifizierung und Nachhaltigkeit einer ambitionierten Kulturpolitik mit Weitblick, Substanz und Durchsetzungsfähigkeit von großer Bedeutung sind, zeigt, dass es auf dem Gebiet der Kulturpolitik eine ganze Reihe von Defiziten und die drängende Notwendigkeit zur Bearbeitung zahlreicher Baustellen gibt. Deren Beseitigung würden einen nicht zu überschätzenden Beitrag zur Entwicklung und Gestaltung, d.h. zur Zivilisierung und Kultivierung des Lebens in unserer Gesellschaft und in unserer Region leisten.
V. Kulturpolitik braucht mehr Finanzmittel
Um ihren Ansprüchen und Funktionen als Impulsgeber etc. in der Gesellschaft zu genügen, können Kunst und Kultur - zumal in Zeiten vorgegebener Haushaltsgrenzen, gedeckelter oder abschmelzender Kulturetats und sich verschärfender Verteilungskämpfe (auch zwischen den einzelnen Sparten im Kunst- und Kulturbereich) nicht sich selbst überlassen werden. Sie bedürfen vielmehr der zielbewussten, tatkräftigen und partizipativen Unterstützung durch die Politik und die Öffentlichkeit, da ihre „Produkte“ nicht immer „marktkonform“ oder „mainstreamig“ sind - und auch nicht sein sollten. Das ist einfacher formuliert und gefordert als im politischen Alltagsgeschäft umgesetzt. Denn machen wir uns nichts vor, Kunst und Kultur gelten noch immer als sog. „weiche Standortfaktoren“ - nice to have, aber nicht als it must be.
Die Kulturpolitik hat die staatliche Entwicklung und Förderung von Kunst und Kultur (wie in Sachsen geschehen) in den rechtlichen Status einer „Pflichtaufgabe“ zu erheben, damit diese Bereiche in den schärfer werdenden Verteilungskonflikten um knapper werdende Mittel (Bevölkerungsrückgang, Auslaufen der Solidaritätsabgabe, Abnahme der EU-Förderung) nicht als bloße „Kann-Aufgaben“ nachrangig behandelt werden und nicht - wie so oft - dem Rotstift zum Opfer fallen und als sog. „weiche Bereiche“ überproportional Kürzungen ausgesetzt sind.
Die Kulturpolitik hat eine der Bedeutung von Kunst und Kultur angemessene Finanz- und Personalausstattung zu gewährleisten. Dazu gehört nicht nur (1.) eine Entdeckelung der Kulturetats auf allen Politik- und Verwaltungsebenen (Land, Kreise, Kommunen) und (2.) eine Koppelung der Kulturetats an das Wachstum der Steueraufkommen, (3.) die Ausweitung der Erhebungsgrundlagenfür „Kunst am Bau / im öffentlichen Raum“ auf alle mit Staats- und Fördermitteln realisierten Bauvorhaben (z.B. Autobahnen, Gleis- und Brückenbau) sowie (4.) eine spürbare Erhöhung der Quote für diese Mittel (5.) die Erhebung einer Kulturabgabe (pro Übernachtung) sowie (6.) die Platzierung einer „Kulturaktie“, die Erhebung eines „Kultur-Cents“ (durch freiwillige Aufrundung der Preise durch die Konsumenten) und deren Bereitstellung für Kunst/Kultur. Nicht zuletzt geht es (7.) um die aktive, systematische Vermittlung von Mäzenen, Sponsoren und „Kunstpaten“ durch die Politik, (8.) die Unterstützung von Antragstellern bei Förderanträgen durch eine Vollzeit-Servicestelle in den Kulturverwaltungen (Land, Kreise, Kommunen), (9.) den Ausbau von „Public-Private-Partnership-Projekten“ im Kunst- und Kulturbereich, (10.) die Förderung der Gründung privater Kulturstiftungenund (11.) nicht zuletzt die Gründung bzw. Entwicklung öffentlicher Kunst- und Kulturstiftungen auf Landes-, Kreis- und Kommunalebene in M-V.
Fazit:
Letztlich geht es darum, existenzsichernde Bedingungen für die „creative class“ der Kulturschaffenden und -vermittelnden zu stärken bzw. zu entwickeln, die es den Künstlern und Künstlerinnen (insbesondere der „Freien Kunst“) ermöglichen, ihre oft prekäre (materielle) Lage so zu verbessern, dass die „Kunst von der Kunst zu leben“ nicht nur eine wohlfeile Forderung oder schön klingender Buchtitel bleibt, sondern die Kreativen in die Lage versetzt, ihrer eigentlichen Berufung nachzugehen und d.h. ihre künstlerischen Potenziale kreativ umzusetzen und der Gesellschaft verfügbar zu machen.
VI. Kunst/Kultur brauchen Beachtung/Vermittlung/Verbreitung
Kunst und Kultur sind die Resultate kreativer Ideen, mühsamer Anstrengungen und mehr oder weniger erfüllter Vorstellungen derjenigen, die Kunst/ Kultur schaffen: am Schreibtisch, in den Ateliers oder Studios und an anderen Orte der Kreation, Kontemplation und Konzentration. Die Künstler und Künstlerinnen erarbeiten - je nach Sparte oder Gattung - ihre Werke in der Zurückgezogenheit auf sich selbst oder in kleinen Gruppen von Gleichgesinnten im Rückzug aus der Öffentlichkeit. Diese Akte der Schöpfung von Kunstwerken und Kulturgütern lösen bei den Künstler/innen in der Regel tiefgehende Emotionen aus, die eine große Bandbreite aufweisen: zwischen Zufriedenheit und Verzweiflung, Erregung und Ermattung, Freude und Frust. DieseInnenseite des Prozesses der Entstehung von Kunst/Kultur ist für die Erfahrungen und Entwicklungen von Kunst-/Kulturschaffenden nicht nur äußerst anstrengend, sondern auch höchst bedeutsam für die Motivation und die eigene Befindlichkeit. Wenn Kunst und Kultur darüber hinaus eine Wirkung in der Gesellschaft und auf die Menschen haben soll, bedarf es - und das ist die Außenseite des Prozesses - der Wahrnehmung und Beachtung, der Vermittlung und Verbreitung, der Wertschätzung und Aneignung durch das Publikum. Diese Aufgabe der Einbringung und Platzierung von Kunst und Kultur in die differenzierten Entwicklungsprozesse und Gestaltungsvorgänge der Gesellschaft und in die Wahrnehmungshorizonte der Menschen kann nicht allein oder vorrangig den Kunst- und Kulturschaffenden überlassen werden, sie bedürfen für diese zeit-, kosten- und oft auch nervenaufwändige Aufgabe der Unterstützung durch die Kulturpolitik sowie durch Profis aus dem Marketing- und Kommunikationsbereich.
Die Kulturpolitik hat der „Kulturellen Bildung“ jene vorrangige Aufmerksamkeit zu widmen, die ihr angesichts ihrer basalen Bedeutung für die Entwicklung und Entfaltung von Fertigkeiten und Fähigkeiten, Kompetenzen und Potenzialen insbesondere für die heranwachsenden Generationen zukommt. Die Bürger und Bürgerinnen müssen so früh wie möglich durch eine Kultivierung der Sozialisationsprozesse mental und kognitiv mit den Erfahrungs- und Erlebnisbereichen von Kunst und Kultur so vertraut gemacht werden, dass sie sich als Kulturbürger/-innen aktiv und selbstbestimmt in die kulturellen Prozesse unserer Gesellschaft einbringen, Kunst und Kultur als Bereicherung ihres Lebens begreifen und für die Entfaltung ihrer Persönlichkeit nutzen können. „Kulturelle Bildung“ ist die bestmögliche Antwort und präventive Absicherung gegen die Anfechtungen von Gewalt und Rechtsextremismus in unserer Gesellschaft.
Der Vernetzung und Strukturbildung der Akteure im Bereich der Kunst-/Kulturschaffung und -Vermittlung (Kunstvereine und -verbände) kommt eine strategische Bedeutung zu, weil sie nicht nur viele Möglichkeiten des Ideenaustausches und der Projektabsprachen bieten, sondern der Kunst- und Kulturszene „Stimme und Gesicht“ für den Umgang mit Politik und Medien geben. Auf diese Weise können übergreifende Interessen gebündelt und in gemeinsamen Aktionen mit viel mehr Kraft in den Wettbewerb um öffentliche Wahrnehmung und den Kampf um knappe Ressourcen eingebracht werden. So können Kunst/Kultur in die Lage versetzt werden, sich im Wettstreit mit dem Ökonomischen und Sozialen in der Öffentlichkeit ein größeres Gehör zu verschaffen.
Die „Vermarktung“ der Kunstwerke und die „Inwertsetzung“ der Kulturgüter sind für die Kunst von der Kunst zu leben von existenzieller Bedeutung für die Kunst- und Kulturschaffenden. Doch diese sind in der Regel weder durch ihre Ausbildung noch in der Sache die geeigneten Personen, als ihre eigenen Promotoren zu agieren. Sie sollen und wollen in erster Linie Kunst/Kultur machen und nicht als Vertreter/-innen ihrer eigenen Werke unterwegs sein.
Bei der Suche und Nutzung von „Vertriebswegen“ für Kunst und Kultur müssen nicht immer neue Medien und Kanäle gefunden, sondern vorhandene Möglichkeiten für Werbung und Marketing besser als bisher ausgeschöpft werden. So z.B. die Werbeplattformen der Tourismusverbände/-branche, die den Kulturtourismus promoten, die vielfältigen Foren des Internets (z.B. Kulturportale, Facebook, Youtube), die Teilnahme an wiederkehrenden Kunstaktionen (z.B. Kunst Offen oder Kunst Heute), die Beteiligung anKunstrouten oder Kulturräumen, die gemeinschaftliche Verteilung von Werbematerialien u.v.m.
Fazit: Die Kulturpolitik kann nicht alle diese Aktivitäten übernehmen, das ist nicht ihre Aufgabe und würde die zur Verfügung stehenden Mittel auch überfordern. Von einer mit Engagement betriebenen Kulturpolitik kann aber erwartet werden, dass sie die für die Beachtung, Vermittlung und Verbreitung von Kunst und Kultur erforderlichen Rahmenbedingungen setzt, die verfügbaren Medien (Internetportal, Landbote etc.) bereitstellt, Anschubfinanzierungen für neue Vertriebsideen, -mittel und -wege einsetzt sowie Vernetzungen und Strukturbildungen im Kunst- und Kulturbereich wie „start ups“ behandelt und protegiert.
Prof. Dr. Wolfgang Vogt
(Eröffnungsvortrag auf der ersten Kreiskulturkonferenz des LK Ludwigslust-Parchim in Mestlin am 6. 9. 2014)